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Montag, 6. Juni 2016

Fazit

gelacht
geweint
gefragt
gefehlt
gegrübelt
getastet
gesucht
gerungen
gesprungen
geliebt
geherzt
gescherzt
gehalten
getragen
gesungen
gesponnen
geflogen
gestrauchelt
geglaubt
gestrandet
gelandet

gelebt


(Annemarie Schnitt)

Sonntag, 5. Juni 2016

Diesen Sommertag
trage ich in mir
ein Stück Paradies
aus Himmels Ferne
Licht und Wärme
festzuhalten
für frostige Zeiten.

(Annemarie Schnitt)


wogendes mohnblumenfeld
die münder geöffnet
zur sonne hin

heute ist der tag
uns hinzugeben
zu ertrinken

im rauschenden rot
der liebe

(Rea Revekka Poulharidou)


Sonntag, 29. Mai 2016

die grünen frühlingsaltäre
vor denen du zur ruhe kommst
die unnachahmliche frische
mit der die flüsse
ihr blut kraftvoll durch die adern
der wälder treiben
und im gewitter der blattkaskaden
mit ihrem drängen
ein ganzes leben erneuern

(Hermann Josef Schmitz )

Donnerstag, 26. Mai 2016


ich wollte sehen. woher alles schöne auf der welt
kommt. wenn du nicht bei mir bist

schleppte mein herz über wiesen und felder
füllte meine taschen mit blüten und blumen. doch

dann bemerkte ich. wie sehr ich dich vermisse
im glanz eines jeden lebendigen –

anemone malve lavendel jasmin
du bist das wunder meines frühlings

meine erde
mein himmel

glück

(Rea Revekka Poulharidou)

Sonntag, 15. Mai 2016


In der Schatzkammer der Tage
hüte ich
die glücklichen Stunden
sind unvergänglich
in meiner langen Nacht
schenken sie mir
Leuchtkraft
für den Weg
zurück
zu Anfang und Ende
beginne ich
mich zu verwandeln
im hellsten Schlaf
bin ich
ein Stern

(Mario Wirz)

Donnerstag, 12. Mai 2016

Es tagt

Mit blossen Armen
schwerelos
umarmt
der Tag
die Nacht

Sterngirlanden
verlöschen
entschwinden
in den weissen
Gewölben
des Himmels

Über den Horizont
kommt die Sonne zur Welt.

Luisa Famos)

Sonntag, 1. Mai 2016

Ziemlich viel Glück

Ziemlich viel Glück 
Gehört dazu, 
Dass ein Körper auf der Luft 
Zu schweben beginne 
Mit Brust, Achsel und Knie 
Und auf dieser Luft 
einem anderen Körper begegne, 
Wie er 
Unterwegs. 

Die Atmosphäre macht 
Zwei innige Torsen aus ihnen. 
Unbemerkt beschreibt ihr Entzücken 
Zärtliche Linien in Baumkronen. 
Eine ganze Zeit noch 
Ist Ihr Flüstern zu vernehmen, 
Und wie sie einander 
Das schenken, 
Was leicht an Ihnen ist. 

Glücklichsein beginnt immer 
Ein wenig über der Erde.

(Karl Krolow)


Donnerstag, 28. April 2016

I stood willingly and gladly 
in the characters of everything
other people, trees, clouds. 
And this is what I learned, 
that the world's otherness 
is antidote to confusion, 
that standing within this otherness
the beauty and the mystery of the world, 
out in the fields or deep inside books
can re-dignify the worst-stung heart. 

(Mary Oliver)

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Gerne und  freiwillig
habe ich mich in die Rolle von allem begeben
 andere Menschen, Bäume, Wolken.
Und dies habe ich gelernt: 
dass das Anders-Sein der Welt 
das Gegenmittel für Verwirrung ist
dass das Sein mit dem Anders-Sein
der Schönheit und dem Geheimnis der Welt,
draussen auf den Feldern oder tief in Büchern versunken 
auch das schmerzendste Herz
wieder in seinen würdigen Zustand versetzen kann.

(Mary Oliver)

Sonntag, 17. April 2016

I like birds



die nächte 
die nie vollständig dunkeln
du die du mich
unbedingt liebst
hinter der regentür
steht die zeit
trommelgrün
öffnet sich ihr gelassen
eine unberührte landschaft
in der mein wildes herz
nährboden finden wird

(Hermann Josef Schmitz)

Mittwoch, 13. April 2016


wo ich lebe

wo ich lebe
findest du perlen im gras
gold auf alten bäumen
blüten an erstaunen
tropfen an ewigkeit
stille augenblicke
und das wache
sehen eines
stifts

(Rea Revekka Poulharidou)

Dienstag, 12. April 2016



Noch Staunen können.
Sich begeistern.
Sich trauen.
Fremde Türen öffnen,
neue Räume betreten.
Auch in uns.
Den Tag geniessen,
den Augenblick feiern.
Den Himmel berühren.
In sich selber ruhen. 
Lächeln.
Einander begegnen. 
Für sich sein.
Frieden finden.
In uns. 
Und um uns herum.
Lieben. 
Und geliebt werden.

(Jochen Mariss)

Mittwoch, 6. April 2016



Am Nachmittag kommt die Sonne ins Zimmer
Die Gegenstände werden Gold
Wärme dies Lebenselement 
Gold dieser Reichtum
Ich hisse eine heissgoldene Fahne 
auf dem Turm 
meines Traums

(Rose Ausländer)

Montag, 4. April 2016


Ich glaube an die Wunder der Worte
 die in der Welt wirken 
und die Welten erschaffen

(Rose Ausländer)

Freitag, 1. April 2016


Frühaufsteherin

Wozu mit ihr streiten?
Zahlen
beeindrucken sie nicht.
Sie kommt von jenseits
der Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Hoffnung −
Frühaufsteherin
am schwärzesten Tag

(Rainer Malkowski)

Freitag, 25. März 2016

Ich habe Heimweh nach einem Land
in dem ich niemals war,
wo alle Bäume und Blumen
mich kennen,
in das ich niemals geh
doch wo sich die Wolken
meiner
genau erinnern,
ein Fremder, der sich
in keinem Zuhause
ausweinen kann.

Ich fahre
nach Inseln ohne Hafen,
ich werfe den Schlüssel ins Meer
gleich bei der Ausfahrt.
Ich komme nirgends an.
Mein Segel ist wie ein Spinnweb im Wind,
aber es reisst nicht.

Und jenseits des Horizonts,
wo die grossen Vögel
am Ende des Fluges
die Schwingen in der Sonne trocknen,
liegt ein Erdteil
wo sie mich aufnehmen müssen,
ohne Pass,
auf Wolkenbürgschaft. 

(Hilde Domin)