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Montag, 31. Dezember 2012


Die Zeit verrinnt,
die Spinne spinnt in heimlichen Geweben.
Wenn heute Nacht das Jahr beginnt,
beginnt ein neues Leben.

(Joachim Ringelnatz)

Neues Jahr


Sonntag, 30. Dezember 2012

Things to Think


Think in ways you've never thought before.
If the phone rings, think of it as carrying a message
Larger than anything you've ever heard,
Vaster than a hundred lines of Yeats.

Think that someone may bring a bear to your door,
Maybe wounded and deranged; or think that a moose
Has risen out of the lake, and he's carrying on his antlers
A child of your own whom you've never seen.

When someone knocks on the door,
Think that he's about
To give you something large: tell you you're forgiven,
Or that it's not necessary to work all the time,
Or that it's been decided that if you lie down no one will die.

(Robert Bly)


Samstag, 29. Dezember 2012

Gedicht


Ich möchte gern ein kurzes Gedicht schreiben
eins mit vier fünf Zeilen
nicht länger
ein ganz einfaches
eins das alles sagt über uns beide
und doch nichts verrät
von dir und mir.

(Jürgen Theobaldy)

Freitag, 28. Dezember 2012

Die Hoffnung


Die Hoffnung geht barfuss
durch die Welt. Sie ist schon
angekommen, wenn wir gerade
aufbrechen. Wir müssen
ihr entgegen gehen, und
sie stützen, damit sie nicht
zusammenbricht. Wir
müssen immer wieder
ihre wunden Füsse heilen. Wohin
sie auch geht, sie kehrt
zum Ende zurück, das
wir für den Anfang hielten

(Franz Hodjak)

Donnerstag, 27. Dezember 2012





Meine Worte gehorchen mir nicht
Kaum hör ich sie wieder mein Himmel
Dehnt sich will deinen erreichen
Bald wird er zerspringen ich atme
Schon kleine Züge mein Herzschlag
Ist siebenfach geworden schickt unaufhörlich
Und kaum verschlüsselte Botschaften aus

(Sarah Kirsch)

Mittwoch, 26. Dezember 2012

Do not go where the path may lead,
 go instead where there is no path 
and leave a trail.

(Ralph Waldo Emerson)

Wann fängt Weihnachten an?


Wenn der Schwache dem Starken die Schwäche vergibt,
wenn der Starke die Kräfte des Schwachen liebt,
wenn der Habewas mit dem Habenichts teilt,

wenn der Laute bei dem Stummen verweilt
und begreift, was der Stumme ihm sagen will,
wenn das Leise laut wird und das Laute still,

wenn das Bedeutungsvolle bedeutungslos,
das scheinbar Unwichtige wichtig und gross,

wenn mitten im Dunkeln ein winziges Licht
Geborgenheit und helles Leben verspricht,

dann, ja dann,
fängt Weihnachten an.

(Rolf Krenzner)


Dienstag, 25. Dezember 2012

Montag, 24. Dezember 2012



We, unaccustomed to courage
exiles from delight
live coiled in shells of loneliness
until love leaves its high holy temple
and comes into our sight
to liberate us into life.

Love arrives
and in its train come ecstasies
old memories of pleasure
ancient histories of pain.
Yet if we are bold,
love strikes away the chains of fear
from our souls.

We are weaned from our timidity
In the flush of love's light
we dare be brave
And suddenly we see
that love costs all we are
and will ever be.
Yet it is only love
which sets us free.

(Maya Angelou)

Sonntag, 23. Dezember 2012



Bleib bei mir als wärst Du
lang für mich da
lass wachsen dein weisses
in meinem Haar

Lieb mich als ob
das gut für dich wär
als gäben wir
Leben um Leben her

Ertrag mich als trügest
du nicht zu schwer
behüt mich als ob
ich verloren wär.

(Ulla Hahn)

Having Come This Far


I've been through what my through was to be
I did what I could and couldn't
I was never sure how I would get there

I nourished an ardor for thresholds
for stepping stones and for ladders
I discovered detour and ditch

I swam in the high tides of greed
I built sandcastles to house my dreams
I survived the sunburns of love

No longer do I hunt for targets
I've climbed all the summits I need to
and I've eaten my share of lotus

Now I give praise and thanks
for what could not be avoided
and for every foolhardy choice

I cherish my wounds and their cures
and the sweet enervations of bliss
My book is an open life

I wave goodbye to the absolutes
and send my regards to infinity
I'd rather be blithe than correct

Until something transcendent turns up
I splash in my poetry puddle
and try to keep God amused.

(James Broughton)

Samstag, 22. Dezember 2012

Bad Wisdom



Immer ist Ort und Stunde.
Immer bist du gemeint.
Und es ist jede Wunde
einmal zu Ende geweint.

So viele Schritte gegangen,
egal, wohin sie geführt.
Hauptsache angefangen,
ab und zu Leben gespürt.

Immer ist immer und weiter,
Immer – das bist du.
Die Tore öffnen sich und heiter
schreitet der Tag auf dich zu.

(Konstantin Wecker)

Donnerstag, 20. Dezember 2012


Leben wie ein Baum
einzeln und frei
doch brüderlich wie ein Wald
das ist unsere Sehnsucht
(Nazim Hikmet)



Some say you're lucky
If nothing shatters it.

But then you wouldn't
Understand poems or songs.
You'd never know
Beauty comes from loss.

It's deep inside every person:
A tear tinier
Than a pearl or thorn.

It's one of the places
Where the beloved is born.

(Gregory Orr)

Mittwoch, 19. Dezember 2012



Wenn du annimmst,
was in mir wächst,

wenn du annimmst,
wann etwas in mir wächst,

wenn du annimmst,
wie schnell etwas in mir wächst,

wenn du mir zugestehst,
das zu werden, was ich sein kann,

wenn du ja sagst,
ohne wenn und aber,

dann bin ich ganz Mensch,
auf der Erde, im Himmel.


(Max Feigenwinter)

Dienstag, 18. Dezember 2012

In der Zwischenzeit


Wenn Sehnsucht nur die Sucht ist sich zu sehnen
 nach dem was man versäumt
 was macht dann ein Traum den gerade niemand träumt
zurück oder alleine gelassen, mit nichts von sich übrig
 zum anfassen oder loslassen
aber seltsam gewiss, dass da mehr ist
 mehr als man sehen kann
 und mehr als man erzählen kann
 damit man daran nicht zerbricht
 bleibt man ganz
 betrachtet das ganze etwas aus der Distanz
 im Glauben man distanziert sich ja bloß
 und plötzlich sind die Dinge ihre Seelen los...

(Wolfgang Müller)

Advent


Der Frost haucht zarte Häkelspitzen 
perlmuttergrau ans Scheibenglas. 
Da blühn bis an die Fensterritzen 
Eisblumen, Sterne, Farn und Gras. 

Kristalle schaukeln von den Bäumen 
die letzten Vögel sind entflohn. 
Leis fällt der Schnee. In unsern Träumen 
weihnachtet es seit gestern schon. 

(Mascha Kaleko)


"Wenn ich mir was wünschen dürfte,
möchte ich etwas glücklich sein,
denn sobald ich gar zu glücklich wär,
hätt ich Heimweh nach dem Traurigsein."

(Marlene Dietrich)

Montag, 17. Dezember 2012



Je suis comme un enfant qui n'a plus droit aux larmes,
Conduis-moi au pays où vivent les braves gens
Conduis-moi dans la nuit, entoure-moi d'un charme,
Je voudrais rencontrer des êtres différents.

Je porte au fond de moi une ancienne espérance


Ich bin wie ein Kind, das nicht mehr weinen darf,
Führ mich in das Land, wo die gutmütigen Menschen leben
Führ mich durch die Nacht, umhülle mich mit einem Zauber
Ich möchte so gern Wesen begegnen, die anders sind.

Ich trage tief in mir eine uralte Hoffnung

(Michel Houellebecq)


Sonntag, 16. Dezember 2012


Ich habe mein Ohr an das Herz 
der Erde gelegt. 
Sie hat mir von der Liebe zwischen sich 
und dem Regen erzählt. 

Ich habe mein Ohr an das Herz 
des Wassers gelegt. 
Es hat mir von der Liebe zwischen sich 
und seinen Quellen erzählt. 

Ich habe mein Ohr an das Herz 
des Baumes gelegt. 
Er hat mir von der Liebe zwischen sich 
und seinen Blättern erzählt. 

Als ich mein Ohr an das Herz 
der Liebe selbst gelegt habe, 
hat sie mir von der Freiheit erzählt.

(Sherko Berkas)

Samstag, 15. Dezember 2012


We are nowhere and it's now


Trees

I think that I shall never see
A poem lovely as a tree.

A tree whose hungry mouth is prest
Against the sweet earth's flowing breast;

A tree that looks at God all day,
And lifts her leafy arms to pray;

A tree that may in summer wear
A nest of robins in her hair;

Upon whose bosom snow has lain;
Who intimately lives with rain.

Poems are made by fools like me,
But only God can make a tree.



Freitag, 14. Dezember 2012


Ich liebe jene ersten bangen Zärtlichkeiten,
die halb noch Fragen sind und halb schon Anvertraun,
weil hinter ihnen schon die andern Stunden schreiten,
die sich wie Pfeiler wuchtend in das Leben baun.

Ein Duft sind sie; des Blutes flüchtigste Berührung,
ein rascher Blick, ein Lächeln, eine leise Hand
sie knistern schon wie rote Funken der Verführung
und stürzen Feuergarben in der Nächte Brand.

Und sind doch seltsam süß, weil sie im Spiel gegeben,
noch sanft und absichtslos und leise nur verwirrt,
wie Bäume, die dem Frühlingswind entgegenbeben,
der sie in seiner harten Faust zerbrechen wird.

(Stefan Zweig)

Donnerstag, 13. Dezember 2012

Not going anywhere


"This is why I always whisper 
I'm a river with a spell 
I like to hear but not to listen, 
I like to say but not to tell 

This is why I always wonder 
There's nothing new under the sun 
I won't go anywhere so give my love to everyone"

Für Einen


Die Andern sind das weite Meer. 
Du aber bist der Hafen. 
So glaube mir: kannst ruhig schlafen, 
Ich steure immer wieder her.

Denn all die Stürme, die mich trafen, 
Sie liessen meine Segel leer. 
Die Andern sind das bunte Meer, 
Du aber bist der Hafen.

Du bist der Leuchtturm. Letztes Ziel. 
Kannst Liebster, ruhig schlafen. 
Die Andern... das ist Wellenspiel,

Du aber bist der Hafen.

(Mascha Kaleko)

Mittwoch, 12. Dezember 2012

Den Weg finden


Nachts schwimme ich 
im Strom der Sterne 
die mich träumen 
An Feiertagen 
lieg ich im Waldschatten 
und sehne mich 
nach dem Licht das erleuchtet

um meinen Weg zu finden 
zu deinem Weg

(Rose Ausländer)

Dienstag, 11. Dezember 2012


I still find each day too short
 for all the thoughts I want to think
all the walks I want to take
all the books I want to read
and all the friends I want to see.

( John Burroughs)

An den nächsten Abend

Meine Haut wird enger.
Die Jahre haben sie gespannt.
Es kann sein, meine
Stimme wird leiser.
Ich bündle das Gelächter
von gestern, das schöne 
Selbstvergessen und
verschenke dies alles:
die fremden Stimmen, die
mir vertraut wurden; alle
jene verwegenen Sätze
der Hoffnung; Gesichter
die ich auswendig kann -
und diese Bescheinigungen,
die den Tag haltbar machen sollen:
Dies alles verschenke ich
für die Freundlichkeit an
Abenden, für das geübte
Schweigen, für die ungesprochenen
Sätze und für die Gunst,
aufzubrechen ohne Verabredung
für den Morgen.

(Peter Härtling)

Winter Lady


"...You chose your journey long before 
you came upon this highway...."


Montag, 10. Dezember 2012

Meine Gegenwart


Wenn ich bei euch bin,
wenn ich allein bin,
wenn jemand über mich redet
wenn man mich öffentlich macht – nie bin ich da.
Niemand kann sagen:
man sieht sie ihm an, man erwischt ihn damit, er ist dieser & der –
ich bin es nicht
Ich bin dort wo Formalitäten
Unnötig sind: ein Körper
Der im offenen Denksystem durch die Kanäle
Den Nerven entlang fährt 
Ich bin jemand der alles umbaut, sich in wenig 
Verpflichtungen verhängt, der keine Zeitmechanismen ernst nimmt,
oder ein Rest von Erotik & Sex
Ich laufe durch die Häuser als ob 
Sie fehlten, ich bin vielleicht du
Wahrscheinlich viele zusammen oder niemand
Oder ein Hustenreiz oder launischer Liebhaber auf Zeit.
Ich höre zu was über mich gesagt wird
Es interessiert mich nicht.
Vielleicht sieht sich jemand so
Vielleicht bin ich auf Spitzbergen;
In einigen Fällen bebt er.
Das ist ein winziger Teil meiner Gegenwart & und es ist noch viel zu tun.

(Beat Brechbühl)

Aimless Love

This morning as I walked along the lakeshore,
I fell in love with a wren
and later in the day with a mouse
the cat had dropped under the dining room table.

In the shadows of an autumn evening,
I fell for a seamstress
still at her machine in the tailor’s window,
and later for a bowl of broth,
steam rising like smoke from a naval battle.

This is the best kind of love, I thought,
without recompense, without gifts,
or unkind words, without suspicion,
or silence on the telephone.

The love of the chestnut,
the jazz cap and one hand on the wheel.

No lust, no slam of the door –
the love of the miniature orange tree,
the clean white shirt, the hot evening shower,
the highway that cuts across Florida.

No waiting, no huffiness, or rancor –
just a twinge every now and then
for the wren who had built her nest
on a low branch overhanging the water
and for the dead mouse,
still dressed in its light brown suit.

But my heart is always propped up
in a field on its tripod,
ready for the next arrow.

After I carried the mouse by the tail
to a pile of leaves in the woods,
I found myself standing at the bathroom sink
gazing down affectionately at the soap,
so patient and soluble,
so at home in its pale green soap dish.

I could feel myself falling again
as I felt its turning in my wet hands
and caught the scent of lavender and stone.

(Billy Collins)


Sonntag, 9. Dezember 2012


Schneelied

Mit dem Schnee
will ich trauern.
Schmelzen wird er
und deine Schritte
vergessen.
Hier
bist du gegangen.

Kehr zurück.
Lass dich bitten
mit dem erwachten
Fluss,
dem wieder
gefundenen Land.

Jetzt,
nach dem Frost,
tauen in meinen Briefen
die Sätze
und holen dich,
ohne Gedächtnis,
ein.

Kehr zurück.
Und sei
wie vor dem Schnee.

(Peter Härtling)

Ich würde so gerne etwas Zärtliches
Schreiben
Kaum Fühlbares
etwas
das man gerade noch spüren kann.
Wie man den Blick eines lieben Menschen
auf der Haut spürt.
Dank
auch wenn er nur gedacht
auch wenn er nur ganz kurz
und im Vorübergehen gedacht ist.
Schlichtheit
(schlichte Menschen vergrößern einen Raum
wenn sie durch die Tür treten).
Kinder spürt man
auch die leisen Kinder
bei denen man immer das Gefühl hat
man müsste den Mund halten
denn sie wissen schon lange alles.
Herzlichkeit
vor allem Herzlichkeit
(ich kenne Menschen
die dich mit einer Selbstverständlichkeit
in ihren Herzen aufnehmen
dass dir schwindlig wird).
Von all dem würde ich so gerne
Schreiben.

(Konstantin Wecker)




Allegria di  naufragi 
                
E subito riprende
il viaggio
come
dopo il naufragio
un superstite
lupo di mare


Freude der Schiffbrüche
               
Und plötzlich nimmst du
die Fahrt wieder auf
wie 
nach dem Schiffbruch
ein überlebender 
Seebär

(Giuseppe Ungaretti)

Samstag, 8. Dezember 2012



Das Fremde
hat uns im Netz,
die Vergänglichkeit greift
ratlos durch uns hindurch,
zähl meinen Puls, auch ihn,
in dich hinein,
dann kommen wir auf,
gegen dich, gegen mich,
etwas kleidet uns ein,
in Taghaut, in Nachthaut,
fürs Spiel mit dem obersten, fall-
süchtigen Ernst.

(Paul Celan)




Donnerstag, 6. Dezember 2012

Leben heisst 
eine Geschichte zu weben
 von einem Anfang
den wir nicht erinnern
zu einem Ende
von dem wir nichts wissen.

(Heike Maleschka)

HOPE


It hovers in dark corners
before the lights are turned on,
it shakes sleep from its eyes
and drops from mushroom gills,
it explodes in the starry heads
of dandelions turned sages,
it sticks to the wings of green angels
that sail from the tops of maples.
It sprouts in each occluded eye
of the many-eyed potato,
it lives in each earthworm segment
surviving cruelty,
it is the motion that runs the tail of a dog,
it is the mouth that inflates the lungs
of the child that has just been born.
It is the singular gift
we cannot destroy in ourselves,
the argument that refutes death,
the genius that invents the future,
all we know of God.
It is the serum which makes us swear
not to betray one another;
it is in this poem, trying to speak.

(Lisel Mueller)

Mittwoch, 5. Dezember 2012

"Better to live one day as a tiger than a thousand years as a sheep..."




im zimmer sitzen
und auf wörtern reisen

auf sätzen durch 
verschlossene türen fliegen

herzen
aufschliessen mit dem
schlüssel wort

fluchen, segnen, hassen, lieben
alles
wortwörtlich

(eveline hasler)

Dienstag, 4. Dezember 2012

"die dinge, die wir sehen, sind dieselben dinge, die in uns sind. es gibt keine wirklichkeit als die, die wir in uns haben. darum leben die meisten menschen so unwirklich, weil sie die bilder ausserhalb für das wirkliche halten und ihre eigene welt in sich gar nicht zu worte kommen lassen. man kann glücklich dabei sein. aber wenn man einmal das andere weiss, dann hat man die wahl nicht mehr, den weg der meisten zu gehen." 
(hermann hesse)

Montag, 3. Dezember 2012


It is I who must begin.
Once I begin, once I try --
here and now,
right where I am,
not excusing myself
by saying things
would be easier elsewhere,
without grand speeches and
ostentatious gestures,
but all the more persistently
-- to live in harmony
with the "voice of Being," as I
understand it within myself
-- as soon as I begin that,
I suddenly discover,
to my surprise, that
I am neither the only one,
nor the first,
nor the most important one
to have set out
upon that road.

Whether all is really lost
or not depends entirely on
whether or not I am lost.

(Vaclav Havel)

Sonntag, 2. Dezember 2012

Beside you


Winterschneetage





Woher kommen die Träume?


Wenn du unruhig bist, kommen sie aus der Ruhe.
Wenn du ruhig bist, kommen sie aus der Unruhe.
Wenn du kalt hast, kommen sie aus der Hitze.
Wenn du heiss hast, kommen sie aus der Kälte.
Aber immer bringen sie dir eine Nachricht
aus den abgelegenen Provinzen deiner selbst.
Und wenn du noch nichts begriffen hast,
wissen sie schon alles.

(Franz Hohler)


Samstag, 1. Dezember 2012

Frauenfunk

Eines Tages sprech ich im Rundfunk 
Gegen Morgen wenn niemand mehr zuhört
Meine gewissen Rezepte

Gießt Milch ins Telefon
Laßt Katzen hecken
In der Geschirrspülmaschine
Zerstampft die Uhren im Waschtrog 
Tretet aus Euren Schuhen

Würzt den Pfirsich mit Paprika 
Und das Beinfleisch mit Honig 

Lehrt eure Kinder das Füchsinneneinmaleins 
Dreht die Blätter im Garten auf ihre Silberseite
Beredet euch mit dem Kauz 

Wenn es Sommer wird zieht euren Pelz an 
Trefft die aus den Bergen kommen 
Die Dudelsackpfeifer 
Tretet aus Euren Schuhen 

Seid nicht so sicher 
Daß es Abend wird 
Nicht so sicher 
Daß Gott euch liebt.

(Marie Luise Kaschnitz)


Freitag, 30. November 2012


In the middle


In the middle
of a life that's as complicated as everyone else's,
struggling for balance, juggling time.
The mantle clock that was my grandfather's
has stopped at 9:20; we haven't had time
to get it repaired. The brass pendulum is still,
the chimes don't ring. One day you look out the window,
green summer, the next, and the leaves have already fallen,
and a grey sky lowers the horizon. Our children almost grown,
our parents gone, it happened so fast. Each day, we must learn
again how to love, between morning's quick coffee
and evening's slow return. Steam from a pot of soup rises,
mixing with the yeasty smell of baking bread. Our bodies
twine, and the big black dog pushes his great head between;
his tail is a metronome, 3/4 time. We'll never get there,
Time is always ahead of us, running down the beach, urging
us on faster, faster, but sometimes we take off our watches,
sometimes we lie in the hammock, caught between the mesh
of rope and the net of stars, suspended, tangled up
in love, running out of time.

(Barbara Crooker)



Donnerstag, 29. November 2012

Zwischenzeilen


Ich möchte weder in Altem herumwühlen, 
noch Neues heraufbeschwören. 
Ich möchte dich auf meinem neuen Weg wiedersehen, 
dich wieder neu sehen, dich sehen, wie schön du bist. 
Ich möchte neu erfahren, wer du für mich bist, 
auf meinem weiten Feld, das ich nun betreten werde, 
frei von Barrikaden und Tretminen, 
frei sein, für mich sein, allein sein und lieben, was ich begehre. 
Ich möchte mich dir vertraut machen und dich mir, 
mit dir, in deiner Gegenwart sein, in meiner Gegenwart 
nicht gegenwärtig machen, was vergangen ist, 
die Gegenwart genießen, ohne an die Zukunft zu denken. 
Im Hier und Jetzt und leben, da sein, für mich und für dich, 
daß du da bist, für dich und für mich, wenn du willst, 
was ich mir wünsche. 
Ohne zu verlangen, mein Verlangen nach dir ausleben zu dürfen 
und dich zu finden, wenn ich mich sehne. 

(Connor Fairuza Angilotti)

Mittwoch, 28. November 2012


Unterwegs

Heute bin ich
unterwegs
auf Wolken
male mit dem Fuss
den Himmel blau.

Meine Hand
streichelt ein Grau
bis es weiss wird.

Die Kleider
schenke ich dem Abend,
weil ihm die Farbe Schwarz
so gut gefällt.

Leise flüstere ich mit Venus.
Sie lädt mich ein,
heute Nacht
mit ihr gemeinsam
die Sonne zu umkreisen

(Christiane Schwarze)

The winter of listening



No one but me by the fire,
my hands burning
red in the palms while
the night wind carries
everything away outside.

All this petty worry
while the great cloak
of the sky grows dark
and intense
round every living thing.

What is precious
inside us does not
care to be known
by the mind
in ways that diminish
its presence.

What we strive for
in perfection
is not what turns us
into the lit angel
we desire,

what disturbs
and then nourishes
has everything
we need.

What we hate
in ourselves
is what we cannot know
in ourselves but
what is true to the pattern
does not need
to be explained.

Inside everyone
is a great shout of joy
waiting to be born.

Even with the summer
so far off
I feel it grown in me
now and ready
to arrive in the world.

All those years
listening to those
who had
nothing to say.

All those years
forgetting
how everything
has its own voice
to make
itself heard.

All those years
forgetting
how easily
you can belong
to everything
simply by listening.

And the slow
difficulty
of remembering
how everything
is born from
an opposite
and miraculous
otherness.
Silence and winter
has led me to that
otherness.

So let this winter
of listening
be enough
for the new life
I must call my own. 

(David Whyte)

Dienstag, 27. November 2012

Gedichte lesen

Wer
von einem Gedicht
seine Rettung erwartet
der sollte lieber
lernen
Gedichte zu lesen 

Wer
von einem Gedicht
keine Rettung erwartet
der sollte lieber
lernen
Gedichte zu lesen

(Erich Fried)