Ich bin viele.
Ich bin die Frau am Brunnen,
die unter der Last des Kruges
nicht einen Tropfen Wasser verschüttet.
Ich bin der Mann mit den hölzernen Händen,
der nach der Arbeit zum Tabak greift.
Ich bin das Kind, das am Fenster der Stube
die singenden Eisblumen zählt.
Das Lachen bin ich, an flackernden Feuern,
und der wärmende Blick, der den Hunger tröstet.
Die Furcht bin ich, die jemand mit Liedern zersingt,
um den Liebsten keine Last zu sein.
Und auch die Schuld bin ich, die in die Furchen
eines alternden Schweigens sickert.
Ich bin viele.
Ich bin die, die mir vorausgingen,
und die, die ich wurde, ihren Schicksalen zum Trotz.
Manchmal schliesst sich die Haut des Winters
um ihre Geschichten und meine, und um den Dank,
der sich darin eingenistet hat wie ein glückliches Tier.
Dann höre ich ihr leise wanderndes Raunen,
an den Rändern meiner Gebete,
in den Echos meiner perlenden Fragen
und entlang der kostbaren Heilungsfäden,
die wir mit verzweigten Händen
spinnen und weitergeben.
(Giannina Wedde)